Standest du schon einmal vor der Herausforderung, dass du Schüchternheit überwinden wolltest oder glaubst du, dass du aufgrund deiner eher introvertierten Persönlichkeitsausprägung auch schüchtern bist? Vielleicht siehst nach dem Folgenden ein bisschen klarer, auch wenn das eine oder andere zunächst ein wenig verwirren könnte.
Schüchtern oder introvertiert?
Eine Klientin fragte mich einmal:
„Wie ist das denn eigentlich: Bin ich schüchtern oder bin ich nur introvertiert, wenn ich nicht auf Partys gehen mag und mich unter vielen Menschen nicht besonders wohlfühle? Ist beides womöglich dasselbe oder führt zumindest zu den gleichen Resultaten? Und vor allem möchte ich gerne wissen: Wie gehe ich am besten damit um, wenn ich mich unter vielen Menschen nicht so besonders wohlfühle?“
Meine erste und ziemlich kurze Antwort:
„Es kommt darauf an!“
Jetzt fragst du dich vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, ja worauf kommt das an! Und überhaupt, ist es nicht relativ egal, ob jemand nun das Etikett schüchtern verpasst bekommt oder ob er als introvertiert gilt? – Okay, letzteres mag für manche vielleicht weniger negativ klingen, doch in beiden Fällen bleibt die Person, die es betrifft, im Ergebnis lieber Zuhause, statt sich unter viele Menschen zu begeben – oder?
Gibt es einen Unterschied? Und wenn ja, wo liegt er?
Nun, es kommt eben darauf an und vor allem gibt es den folgenden wichtigen Unterschied, der Introversion und Schüchternheit voneinander unterscheidet:
Nämlich, sofern mich das Thema betrifft: Bleib ich dann deshalb letztlich zu Hause, weil ich wirklich kein Verlangen danach habe auf die Party mit vielen Menschen zu gehen und spüre, dass ich meine Zeit besser allein oder eventuell mit wenigen ausgewählten Menschen verbringe oder würde ich eigentlich sehr gerne auf die Party gehen, um etwa neue Leute kennenzulernen, trau mich aber nicht – weil ich Angst habe, mich zu blamieren oder weil ich befürchte, dass mich die anderen nicht mögen – würde also nur deshalb nicht hingehen, weil ich soziale Ängste habe.
Wichtig ist hier demnach zu verstehen, dass Introversion und Schüchternheit nicht dasselbe sind, auch wenn sie manchmal zu gleichen Endresultaten führen können – wie beispielsweise dem, einer größeren Geselligkeit fernzubleiben.
Nur ist das im Unterschied zum Schüchternen für den Introvertierten an und für sich überhaupt kein Problem, zumindest dann nicht, wenn andere Leute keines daraus machen und ihn deshalb unangemessen behandeln bzw. zu einem extravertierteren Verhalten nötigen wollen, wobei im Unterschied dazu der Schüchterne möglicherweise darunter leidet, dass er sich nicht traut, auf die entsprechende Veranstaltung zu gehen und wenn er es doch tut, sich dort vielleicht unsicher und gehemmt fühlt. –
Beides träfe für den Introvertierten, sofern er nicht zugleich auch schüchtern wäre, nicht zu.
Selbstverständlich gilt das eben und das im vorausgehenden Abschnitt Beschriebene auch für das weibliche Geschlecht, welches ich aus Gründen besserer Lesbarkeit nicht separat benannt habe.
Introversion und Extraversion als Persönlichkeitsmerkmale und ein kleines Plädoyer gegen Fremdbestimmung
Bevor ich nun etwas näher auf das Thema Schüchternheit eingehe – einschließlich darauf, was aus meiner Sicht gerade für eher introvertierte Menschen wichtig ist, für den Fall, dass sie zugleich auch schüchtern sind, ein paar Bemerkungen zur Einordnung von Introvertiertheit bzw. Introversion im Kontext der Persönlichkeitseigenschaften Introversion und Extraversion:
Anders als es manchmal den Eindruck erweckt, ist die Persönlichkeitsausprägung Introversion per se überhaupt nichts Schlechtes oder Mängelbehaftetes – es mag uns nur in unserer heutigen lauten Gesellschaft manchmal so vorkommen! Und zwar sowohl aus der Außenperspektive als auch aus der Innenperspektive des introvertierten Menschen selbst, was ich wirklich schade finde.
Denn introvertiert zu sein ist völlig in Ordnung und eine introvertierte Persönlichkeit bedarf als solcher auch keinerlei Korrektur, sondern allenfalls passender Lebensumstände, wozu auf der individuellen Ebene nicht zuletzt ein gewisser Mut zur Selbstbestimmung gehört, um mit seiner stilleren Art in unserer immer noch vor allem von Extraversion dominierten Gesellschaft nicht übertönt oder fremdbestimmt zu werden. -
Was wiederum ein eigenes und ein aus meiner Sicht superwichtiges Thema ist, wozu ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt einen eigenen Blogartikel schreibe, falls Interesse daran besteht. Schreibe es daher gerne in die Kommentare, wenn dich das interessieren würde.
Introvertiert und selbstbestimmt leben – ein wichtiges Thema
Ich finde dieses Thema auch deshalb so wichtig, weil es keineswegs so ist, dass von Natur aus extravertierte oder eher extravertierte Persönlichkeiten gegenüber introvertierten oder eher introvertierten in der Überzahl wären, sondern der extravertierte Stil hat sich in unserer heutigen westlichen Kultur einfach mehr durchgesetzt, ohne dass diese Einseitigkeit, soweit ich sehe, für unsere Gesellschaft von Vorteil wäre!
Doch wie gesagt ein eigenes Thema.
An dieser Stelle zurück zum Unterschied zwischen introvertierten und schüchternen Menschen.
Angst oder Energie?
Nicht zuletzt für unser soziales Miteinander ist es enorm bedeutsam zu verstehen, dass es eben einen großen Unterschied darin gibt, ob jemand sich nicht traut mit anderen Menschen in Kontakt zu treten oder seine Meinung zu äußern, obwohl er das eigentlich sehr gerne möchte, weil er z.B. Angst vor Ablehnung hat.
Oder ob es vielmehr so ist, dass jemand, wie es bei vielen Introvertierten der Fall ist, nicht so gern allzu viel Zeit mit anderen Menschen verbringt, zumindest mit größeren Gruppen von ihnen, weil er eben vor allem dann Energie tankt, wenn er für sich ist, aber prinzipiell keine besonderen Hemmungen vor sozialen Situationen hat, sondern sie einfach seltener aufsucht, weil sie ihm mehr Energie kosten als Extravertierten.
Oder nochmal anders gewendet: weil er oder sie ihrer weniger bedarf. Im Unterschied zu Extravertierten bekommen Introvertierte mehr Stimulation aus inneren Erleben und bedürfen daher weniger äußere Stimulanz. Oft wird auch gesagt, dass Intros Energie tanken, wenn sie allein sind und Extravertierte, wenn sie um sich herum Action haben.
Bitte nicht falsch verstehen: Auch Introvertierte mögen nicht immer allein sein, sie legen durchaus Wert auf soziale Kontakte und sogar vielleicht mehr Wert auf tiefgründige Beziehungen als Extravertierte, fühlen sich aber auch mit sich allein sehr wohl und sind insgesamt auch weniger auf Anerkennung von außen angewiesen.
Introvertiert und schüchtern
Nachdem ich nun auf einige Unterschiede zwischen Introversion und Schüchternheit auf der einen Seite und zwischen Introversion und Extravertiertheit auf der anderen Seite eingegangen bin, möchte ich zur eingangs gestellten Frage zurückkommen, also ob jemand, der nicht gerne auf Partys oder andere Großveranstaltungen geht, nun eher einfach introvertiert ist oder schüchtern oder auch beides:
Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus, dass diese Person sich auf der Skala zwischen Introversion und Extraversion viel mehr der introvertierten Seite zuordnet UND sich im Kontakt mit neuen Menschen unsicher und schüchtern fühlt, weil sie sich viele Gedanken dazu macht, wie sie von ihnen wahrgenommen wird und Angst hat, im Smalltalk nichts Passendes von sich geben zu können. Um dies zu vermeiden, sagt sie oft lieber gar nichts, obwohl sie sich eigentlich gerne etwas aktiver an den Gesprächen beteiligen würde bzw. die Chance gern nutzen möchte, für sie interessante neue Menschen näher kennenzulernen.
Wie lässt sich Schüchternheit überwinden?
Die gute Nachricht ist hier: Schüchternheit ist zu einem großen Teil erlernt und lässt sich mindestens ein gutes Stück weit überwinden! Wenn wir davon betroffen sind, müssen wir uns also nicht für immer und ewig mit unserer Schüchternheit abfinden, sondern können etwas dafür tun, damit wir in sozialen Kontexten freier das tun können, was wir gerne möchten. Wir können, wenn wir das wirklich wollen, mit zunehmend mehr Leichtigkeit und Freude neue Menschen kennenlernen, uns unter anderen Menschen souveräner bewegen und uns in sozialen Situationen lebendiger und authentischer fühlen.
Neue Erfahrungen als Gamechanger
Im Wesentlichen geht es hier um neue Erfahrungen, mit denen wir Stück für Stück unsere Schüchternheit überwinden und mit eben diesen Erfahrungen unser Leben enorm bereichern und verschönern können.
Klar, das geht nicht von heute auf morgen, doch es ist so wichtig zu verstehen, dass Schüchternheit kein unabänderliches Schicksal ist, dem wir einfach so ausgeliefert sind so nach dem Motto: Hier hab ich halt einfach Pech gehabt und muss mich damit abfinden, dass ich soziale Situationen wie einen ungezwungenen Büroplausch oder auch gehaltvolle Gespräche mit netten Menschen nie werde frei genießen können und dazu verdammt bin, auf einem Empfang oder Ähnlichem immer nur am Rande zu stehen, auch wenn ich das vielleicht gar nicht möchte.
Übrigens: Wenn jemand introvertiert ist, kann sehr gut sein, dass er genau das genießt, dass er lieber beobachtet und seine Mitmenschen studiert, anstatt sich selbst aufs Parkett zu begeben.
Schüchternheit überwinden als introvertierte Persönlichkeit
Und was ist, wenn dieser Mensch gleichzeitig auch schüchtern ist und darunter leidet? Dann darf er überlegen, was genau ihn in der Tiefe daran stört und warum genau er seine Schüchternheit überwinden möchte.
Falls es dich betrifft: Orientiere dich nicht an fremden und schon gar nicht an dezidiert extravertierten Maßstäben, was angeblich gut wäre für dich in sozialen Kontexten zu tun, sondern gib dir den Raum und sei es dir wert, um
- in dich hineinzuspüren und zu überlegen, was dich in deiner aktuellen Lebenssituation so richtig in der Tiefe am meisten dazu motiviert, deine Schüchternheit zu überwinden. Vielleicht hast du einen neuen potenziellen Lieblingsmenschen kennengelernt und möchtest den Kontakt vertiefen oder du möchtest vielleicht mit daran Interessierten über eine für dich lebensverändernde Erkenntnis sprechen oder was ist es bei dir – warum möchtest du jetzt deine Schüchternheit überwinden? Wenn du das für dich herausgefunden hast, lass möglichst bald die nächste Etappe folgen, nämlich:
- Geh los in kleinen für dich gut machbaren Schritten, die dich zwar ein wenig herausfordern, jedoch nicht überfordern – also Schritt für Schritt für Schritt … zu mehr Selbstvertrauen in dem für dich und die Überwindung deiner Schüchternheit wichtigen Bereich. Langsames und beständiges Vorwärtsschreiten gelten als wichtige Prinzipien für nachhaltigen Erfolg. Vielleicht gelingt dir diese behutsame und disziplinierte Vorgehensweise gerade als introvertierter Mensch besonders gut, weil sie möglicherweise mit deinen daraus resultierenden Stärken in einem hohen Maß kompatibel ist.
Bild: MiraCosic
Aktualisiert am 13. Dezember, 2024 von Manuela
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